Die türkischen Gärten

Die Öko­lo­gie der Gra­be­land-Gär­ten – Eine künst­le­ri­sche Ar­beit über den na­tur­na­hen Anbau in der Stadt

Pro­jekt: Havva Ayva­lik, Ger­hard Kurtz
Fotos und Text: Havva Ayva­lik
Pro­jekt ge­för­dert durch das Kul­tur­bü­ro der Stadt Dort­mund
Logo des Kulturbüro der Stadt Dortmund

Das Gra­be­land an der Ecke Bur­g­holz­stra­ße/Ei­sen­stra­ße in Dort­mund wird seit Jah­ren von den Mit­glie­dern des Yesil Bos­tan Ge­mü­se­gar­ten e.V. als Nutz­gar­ten an­ge­baut. Was die Gär­ten auf der Bra­che aus­zeich­net und be­son­ders be­ein­druckt, ist der öko­lo­gi­sche, na­tur­na­he Anbau mit­ten in der Nord­s­tadt. In den Gra­be­land-Gär­ten fügen sich Mensch und die Natur den Ge­ge­ben­hei­ten und ge­stal­ten es ge­mein­sam. Die Pflan­zen su­chen sich ihren Weg durch die sehr or­ga­nisch an­mu­ten­de Land­schaft. Brom­beer­he­cken, Äste und Zwei­ge wer­den zu Zäu­nen um­ge­wan­delt, alte Bret­ter, Lat­ten, Plat­ten und Pla­nen wer­den zu fra­gi­len Lau­ben oder zu Rank­hil­fen für Klet­ter­boh­nen.

Die Ein­zig­ar­tig­keit die­ser Gär­ten, der al­ter­na­ti­ve, re­spekt­vol­le Um­gang mit der Natur be­weg­te und fas­zi­nier­te uns so sehr, das wir vor zwei Jah­ren an­ge­fan­gen haben die­sen Ort zu ver­schie­de­nen Jah­res­zei­ten zu fo­to­gra­fie­ren. Die Gär­ten als einen fas­zi­nie­ren­den Raum zu be­grei­fen und die Wand­lung immer wie­der neu zu er­kun­den, nah­men wir als An­lass zu einem grö­ße­ren Pro­jekt, das ein Er­fah­ren der Gra­be­land-Gär­ten auf viel­fäl­ti­ge Weise mög­lich ma­chen soll.

Wie bei un­se­ren vor­he­ri­gen Ar­bei­ten, er­kun­den wir mit künst­le­ri­schen Mit­teln den Raum um uns herum. Durch die Kon­zen­tra­ti­on auf die­sen Ort fin­det eine Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Thema Öko­lo­gie und dem Um­gang mit der Natur statt. Es geht um die Dar­stel­lung der Be­zie­hung von Mensch, Le­be­we­sen und Pflan­zen. Die Gren­zen was wir unter Kul­tur ver­ste­hen und das was Natur sein kann, ste­hen hier in Be­zie­hung.

Hintergrund

Welt­weit übt die ag­gres­si­ve Land­wirt­schaft einen gro­ßen Ein­fluss auf die Be­schaf­fen­heit von Boden, Was­ser und der Luft aus. Die Fol­gen der land­wirt­schaft­li­chen Aus­beu­tung der Erde hat nicht nur schwe­re Aus­wir­kun­gen auf un­se­re Um­welt­gü­ter, auch die mensch­li­che Spe­zi­es wird dar­un­ter lei­den.

Vor allem Über­dün­gung und der Ein­satz von Pes­ti­zi­den sind Prak­ti­ken die der Viel­falt an Pflan­zen, Tie­ren und Pil­zen am meis­ten Scha­den. Die­ser Um­stand zwingt uns zum mas­si­ve um­den­ken. Längst haben sich Al­li­an­zen zwi­schen Kunst, Kul­tur, Öko­lo­gie und Um­welt­schutz ge­bil­det, um auf die dra­ma­ti­sche Lage auf­merk­sam zu ma­chen und Lö­sungs­we­ge auf­zu­zei­gen.

Der al­ter­na­ti­ve, re­spekt­vol­le Um­gang mit der Natur ist eines der Grün­de, wes­we­gen uns die Gär­ten auf dem Gra­be­land so fas­zi­nie­ren. Im Klei­nen, im Mi­kro­kos­mos, dem Gra­be­land ge­lingt ein fried­vol­ler und nach­hal­ti­ger Um­gang mit den Res­sour­cen der Natur. Im Ge­samt­cha­rak­ter haben die Gär­ten auf dem Gra­be­land etwas Ur­tüm­li­ches, die ohne eine tech­ni­sche In­fra­s­truk­tur wie Was­ser und Strom und ohne bau­li­che Ein­grif­fe be­wirt­schaf­tet wer­den und trotz­dem gut zu­recht­kom­men.
Das Er­geb­nis sind na­tur­na­he Ge­bil­de, bei denen Land­schaft/Bra­che, mi­ni­ma­le, re­ver­si­ble Be­bau­ung mit vor­ge­fun­de­nen Ma­te­ri­a­li­en und land­wirt­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on ein Kon­ti­nu­um bil­den und somit in einem kras­sen Ge­gen­satz zu dem welt­wei­ten Ein­satz von Hight­ech­ma­schi­nen und der -bio­che­mie ste­hen.

Auf dem Gra­be­land muss sich die Natur nicht einer struk­tu­rel­len Idee oder Norm un­ter­ord­nen. Sie kann sich un­ge­hin­dert ent­wi­ckeln und ver­wan­deln. Die Ve­ge­ta­ti­on, In­sek­ten, Vögel und klei­ne Tiere sor­gen für den Rest.

Die Art des Gärt­ners er­in­nert an ein frü­he­res Land­le­ben und na­tur­na­hes Land­wirt­schaf­ten und ist eine kaum re­gle­men­tier­te Gar­ten­ge­mein­schaft.

Für die Gärt­ner*in­nen des Gra­be­lan­des (die meis­ten sind Mi­gran­ten aus der Tür­kei) stellt die­ses Stü­ck­chen Land ein Re­fu­gi­um dar, der ihnen Iden­ti­tät stif­tet. Es er­in­nert sie an die „Hei­mat“ ihrer Ahnen. Die Gärt­ner*in­nen be­pflan­zen den Gar­ten mit einem ur­tüm­li­chen bio­lo­gi­schen und mo­der­nem Wis­sen. Wei­ter­ge­ge­ben von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on. Durch die­ses Wis­sen ord­nen sie sich den na­tür­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten unter. Der Gar­te­n­an­bau ist ein imi­tie­ren und nach­ah­men der Natur und nicht eine Er­schaf­fung einer künst­li­chen Gar­te­n­i­dyl­le die nach vor­ge­ge­ben Maß­stä­ben ge­schieht.

Hin­ter ihrer Mo­ti­va­ti­on steht kein wirt­schaft­li­ches In­ter­es­se. Die Ernte deckt in kei­ner Weise den Jah­res­be­da­rf einer vier­köp­fi­gen Fa­mi­lie. Trotz­dem neh­men die Gärt­ner*in­nen die müh­se­li­ge Ar­beit und ein nicht ein­fa­ches aus­kom­men mit den vor­han­de­nen bio­lo­gi­schen Res­sour­cen in kauf. Für die Gärt­ner*in­nen des Gra­be­lan­des, die im Um­feld Ecke Bur­g­holz­stra­ße/Ei­sen­stra­ße woh­nen, för­dert es zudem die lo­ka­le Ver­wur­ze­lung, sie Iden­ti­fi­zie­ren sich mit ihrem Um­feld und füh­len sich für den Er­halt des bio­lo­gi­schen Rau­mes ver­ant­wort­lich. Die Be­schäf­ti­gung mit den Gär­ten ist Sinn stif­tend und lehrt den Um­gang mit Res­sour­cen der Natur. Ganz ab­ge­se­hen von den ge­sund­heit­li­chen Vor­tei­len, die eine Be­schäf­ti­gung mit der Natur för­dern kann.

Die Art es zu be­a­r­bei­ten, die Aus­wahl der Nutz­pflan­zen, das Hal­ten von Hüh­nern und züch­ten von Tau­ben fin­den sich mit gro­ßer Si­cher­heit in länd­li­che­ren Ge­bie­ten Eu­r­o­pas wie­der. Es hat nichts mit einer grü­nen Be­we­gung der Groß­städ­ter zu tun.

Die Gra­be­land-Gär­ten ste­hen für eine in­tu­i­ti­ve, eine fast spi­ri­tu­el­le Ver­bun­den­heit mit der Natur. In den Gra­be­land-Gär­ten steht die Iden­ti­fi­ka­ti­on, das Aus­kom­men mit den Res­sour­cen und eine fried­vol­le öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft im Vor­der­grund.

Re­cy­cling ist auch ein wich­ti­ges Thema; alles Brauch­ba­re wird ver­wer­tet, alles was die Natur dort her­gibt fin­det sei­nen Nut­zen. So ent­ste­hen ganz be­son­de­re De­tails, die den Reiz und die Ein­zig­ar­tig­keit des Ortes aus­ma­chen.

Die­ser Ort stellt für uns ein Klein­od dar, das als In­be­griff für einen nach­hal­ti­gen Kon­sum und öko­lo­gi­schen Um­gang mit der Natur dar­stellt. Für uns pral­len hier die kul­tu­rel­len Her­künf­te der Gärt­ner*in­nen und die Natur mit dem ur­ba­nen Um­feld auf­ein­an­der.

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